Luisa Neubauer: “Es gibt keinen Plan B”

Foto: Info3 / Heisterkamp

Luisa Neubauer ist das Gesicht von Fridays for Future in Deutschland. Eine Begegnung mit der jungen Aktivistin, die auf die Kraft der Einsicht setzt.

Es ist ein Freitag, als ich Luisa Neubauer treffe. Einer dieser Freitage, an dem wieder in zahlreichen Städten SchülerInnen unter dem Motto Fridays for Future gegen die Klimakrise auf die Straße gehen. Die 23jährige Studierende aus Hamburg repräsentiert die Klima-Streikbewegung in Deutschland, die ursprünglich von der Schwedin Greta Thunberg ausging. Neubauer wurde in den zurückliegenden Monaten populär, nahm am Klimagipfel in Kattowitz teil, gab vielen Medien Interviews, trat in Talkshows auf und redete den Aktionären von RWE auf deren Jahresversammlung ins Gewissen. Auch der Anlass zu unserem Treffen ist eine Jahresversammlung, aber diesmal ist es die GLS Bank in Bochum, wo Luisa Neubauer zu Gast ist. Deren Sprecher Thomas Jorberg ist seit langem aktiv für eine CO2-Abgabe und hatte vor kurzem die Entrepreneurs for Future mitgegründet, einen Zusammenschluss von Unternehmen, welche sich mit den streikenden Jugendlichen solidarisch erklären. Das Engagement der GLS-Bank ist für sie mehr als ein „Schulterklopfen“, sagt Luisa Neubauer. Es sei eine starke Ansage, wenn sich eine Bank auf die Seite der Protestbewegung stellt.

„Wir erleben gerade, dass mehr Grönlandeis schmilzt als in jedem arktischem Sommer zuvor“, betont Luisa Neubauer im Gespräch die Dringlichkeit zu handeln. „Es gibt keinen Plan B mehr, wenn wir weitere fünf Jahre schlafen.“ Luisa Neubauer redet schnell, denkt präzise und formuliert mit intellektueller Schärfe. Für ihre Haltung kommt mir der Begriff einer nüchternen Entschiedenheit in den Sinn. So wie viele ihrer MitstreiterInnen hat sie realisiert, was die Erhitzung der Erde auf zwei oder auch mehr Grad bedeuten würde. Vergleichsweise abstrakte wissenschaftliche Befunde denkt sie zu Ende wie eine Mathematik-Aufgabe. Wie bei anderen Klimastreikenden, allen voran bei Greta Thunberg, ist dieser Protest bei ihr auf fast irritierende Weise un-emotional. Er entspricht auch nicht dem klassischen Verständnis von idealistischem Naturschutz. Denn hier geht es um anderes als Insekten oder Singvögel, deren bedrohte Existenz unmittelbare Empathie hervorruft. „Wenn man ein wenig Ahnung von Biodiversität hat, genügt das noch nicht, um die Klimakrise zu verstehen“, sagt Luisa Neubauer. Das Erdklima als grundlegender Bezugspunkt für die Zukunft der Menschheit ist vorstellungsmäßig viel schwerer greifbar, bildet aber eine umso realer wirksame, alles umfassende Dimension. Denn die fortschreitende Erhitzung unserer Atmosphäre wird schon bald für Millionen Menschen ein normales Leben nicht mehr möglich machen und für alle BewohnerInnen der Erde einschneidende Veränderungen nach sich ziehen.

Was Luisa Neubauer aus dieser globalen Weitsicht an Forderungen ableitet, ist bei näherem Hinsehen nicht einmal radikal. Stellvertretend für ihre Bewegung fordert sie eigentlich nur das ein, was die Politik selbst aufgrund wissenschaftlicher Einsichten bereits beschlossen hat: wirkungsvolle Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens, zu dem sich auch die deutsche Regierung verpflichtet hat. Deshalb macht es sie auch schlicht fassungslos, dass vernunftbegabte Menschen nicht in der Lage scheinen, die ebenso notwendigen wie möglichen Schlüsse aus der sattsam bekannten Gefahrenlage zu ziehen, sondern lieber bei vollem Bewusstsein mit Vollgas auf eine Wand zuzufahren. „Wir haben zwar ungeahnten gesellschaftlichen Aufwind erfahren, es ist normal geworden, uns zu Pressekonferenzen einzuladen, aber zugleich sehen wir immer noch politischen Stillstand.“

In Teilen der Medien und von Rechtsaußen-Populisten werden die Schülerstreiks sogar diffamiert. Die ahnungslosen Jugendlichen sollten doch lieber zur Schule gehen. Neubauer persönlich wurden Fernreisen vorgeworfen, die sie unternommen hatte. Solche persönlichen Angriffe nimmt sie gelassen. „Wenn wir von allen Seiten nur begrüßt würden, würde ich mich fragen, ob wir was falsch machen“ meint sie. „Die Tatsache, dass es scharfe Kritik bis zum Hating gibt, spricht ja dafür, dass Menschen das Gefühl haben, sie müssten sich wehren. Ich erlebe aber insgesamt, dass wir Stück für Stück wegkommen von einer Pauschaldebatte und einem zunächst noch sehr aktiv gewesenen Whataboutism, auch von den Schulschwänzer-Vorwürfen kommen wir weg, hin zu den echten Sachfragen: Wie würde eine CO2-Bepreisung funktionieren und was würde sie real bedeuten? Darüber habe ich kürzlich auch mit Finanzminister Scholz gesprochen und gemerkt, dass das Thema dort angekommen ist.“

Es ist, wie gesagt, wieder Freitag, die Jugendlichen streiken heute erneut für ihre Zukunft, seit sechs Monaten passiert das nun. Luisa Neubauer wirkt nachdenklich, als sie auf dieses kleine Jubiläum hinweist: „Wir haben gerade ein wertvolles halbes Jahr verschwendet“, sagt sie und meint natürlich nicht die SchülerInnen, sondern Politik und Wirtschaft, die unbeirrt weiter auf eine Karbon-Ökonomie setzen. Und doch hat sich etwas geändert. Die Aufmerksamkeit für die Klimakrise ist ungleich größer als noch vor einem Jahr. Dass sich Jugendliche auf Grundlage von Wissen und dem Sinn für große Zusammenhänge für die Zukunft der Erde einsetzen, ist etwas, das so niemand erwartet hätte – vielleicht ein Lebenszeichen aus der Zukunft. „So, und jetzt muss ich noch arbeiten“, sagt Luisa Neubauer am Ende des Gesprächs. In ihrer Bewegung war wieder viel los an diesem Freitag. Und wenn der Druck nicht nachlässt, wird das Folgen haben.

Über den Autor / die Autorin

Jens Heisterkamp

Jens Heisterkamp, geboren 1958 in Duisburg, wuchs im Ruhrgebiet auf. Er studierte an der Ruhruniversität Bochum Geschichte, Literaturwissenschaft und Philosophie und wurde 1988 zum Dr. phil. promoviert. Nach der Begegnung mit der Anthroposophie lernte er während seines Zivildienstes die Heilpädagogik kennen und arbeitete als Dozent in der Erwachsenenbildung, kurzzeitig auch als Waldorflehrer, dann als Herausgeber und Autor. Seit 1995 ist er verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift info3 sowie Verleger und Gesellschafter im Info3 Verlag in Frankfurt am Main. Seine Themen sind Dialoge in Religion, Philosophie und Spiritualität, Offene Gesellschaft, Ethik.