Januar 2018 Zeitschrift Info3

FinTech – Geld jenseits des Banksystems

Geld jenseits des Bankensystems. Info3, Ausgabe Januar 2018. Foto: © Choat - Fotolia.com
Geld jenseits des Bankensystems. Info3, Ausgabe Januar 2018. Foto: © Choat - Fotolia.com

Es tauchen immer mehr Innovationen auf, die das institutionalisierte Banking ersetzen. Umkehr für eine negative Entwicklung, die Rudolf Steiner schon vor rund 100 Jahren zu denken gab?

Geld ist eine großartige Erfindung. In den zurückliegenden zweihundert Jahren haben sich aber Institutionen und Funktionen entwickelt, die offensichtlich ein destruktives Eigenleben führen. In jüngster Zeit tauchen allerdings immer mehr Innovationen auf, die das institutionalisierte Banking ersetzen. FinTech-Unternehmen könnten eine negative Entwicklung umkehren, die Rudolf Steiner schon vor rund einhundert Jahren zu denken gab.

Ein komplexes System, geistreich konstruiert und hoch technisiert, ermöglicht in Echtzeit Zahlungs- und Verwaltungsvorgänge; Transaktionen ereignen sich in Millisekunden. Menschliches Bewusstsein kann nicht mehr folgen, wenn aufgeblähte Spekulationen den Superreichtum einiger Weniger schlagartig mehren und zugleich die Armut der Vielen unerträglich vergrößern. Der Strom des Geldes reißt alles mit sich. Auch der Mensch sieht sich da hineingezogen und von den Zwängen eines Systems beherrscht, das er einst in gutem Glauben selbst erschuf. Wie konnte es dazu kommen und was führt uns möglicherweise aus diesem Dilemma wieder heraus?

Die Banken im 19. und 20. Jahrhundert

Seit der Frankfurter Kaufmann Mayer Amschel Rothschild zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach einem Wechseldiskontgeschäft mit dem Landgrafen Wilhelm IX. von Hessen-Kassel und nach der Auflage einer ersten Staatsanleihe (für Dänemark) die bald auch international erfolgreiche „Rothschild-Bank“ gegründet hatte, entwickelte sich das Bankwesen mit immer mehr Instituten weltweit immer schneller. Was Rothschild noch als persönliche Dienstleistung erbracht hatte wurde institutionalisiert und damit zu einem wachsenden Geschäftsfeld. Denn bereits zur damaligen Zeit genossen die meisten Menschen weitgehend gedankenlos die Vorzüge des rasant zunehmenden Konsums: Leicht erhältliche Kredite ermöglichten den Zugang zu einer neuen, erstaunlich vielfältigen Warenwelt und die Entwicklungen im Handel mit Wertpapieren versprachen saftige Gewinne aus spekulativen Geschäften.

Die Entwicklung von Zahlungssystemen, Finanzdienstleistungen und Beteiligungsformen folgten der Globalisierung der Wirtschaft. Schnell wurde das System immer komplexer, und im Umgang mit Geld und Kapital nahm die Anonymität zu. Bald waren nicht mehr die persönlichen Beziehungen der Banker zu ihren Kunden entscheidend für die Geldgeschäfte, sondern Gewinne, Verluste und Risikoabschätzungen, die bald nur noch in Kennzahlen erfasst wurden. Für den Umgang mit Geld entstanden einträgliche Geschäftsmodelle, denen Mitwelt und Menschen rücksichtslos unterworfen wurden.

Auf die mit dieser Entwicklung des Bankwesens verbundenen Gefahren hatte Rudolf Steiner zweimal besonders hingewiesen, und zwar in Vorträgen über „Die Apokalypse des Johannes“ im Jahr 1908 und im sogenannten „Nationalökonomischen Kurs“ im Jahr 1922. Nüchtern stellte er seinerzeit fest, „dass der Geist unter das Menschliche hinuntergetaucht ist, ein Sklave geworden ist des materiellen Lebens“, und fuhr fort: „Heute sehen Sie das ganze Bankwesen unpersönlich werden. Das Kapital geht an die Aktiengesellschaften über, es wird nicht mehr von der Einzelpersönlichkeit verwaltet. Das Kapital fängt an, sich selbst zu verwalten. Wir haben rein objektive Kräfte, die innerhalb des Kapitals wirtschaften, und sogar schon Kräfte innerhalb dieses Gebietes, die allen Willen der Persönlichkeit an sich ziehen, so dass die Persönlichkeit ohnmächtig geworden ist. So kann man mit sehenden Augen bis hinein in diese weltlichen Dinge die Sache verfolgen und wird überall sehen können, wie die Menschheit in Bezug auf die Persönlichkeit zu einem tiefsten Punkt herunterstieg.“

Welt und Leben veränderten sich durch den Einfluss des Geldsystems immer mehr. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg kam es auch in der nun so genannten „Finanzindustrie“ zu umwälzenden Neuerungen. Die (1974 kollabierte) US-amerikanische „First National Bank“ zum Beispiel brachte 1951 die erste Kreditkarte auf den Markt und installierte 1968 erstmals einen Bankautomaten zur Geldausgabe außerhalb der Schalterhallen. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts bündelten die mächtigsten Firmen mehr als fünfzig Prozent der globalen, ökonomischen Macht. Zugleich sank der Anteil der Realwirtschaft am weltweiten Geldverkehr auf weniger als vier Prozent. In dieser Gemengelage kam es schließlich zu den Krisenereignissen seit dem Jahr 2008.

Die Wende

Ende der 1960er-Jahre betrieb bereits jede zehnte US-Bank ein eigenes Kreditkartenprogramm. Die Vernetzung der verschiedenen Systeme gestaltete sich als eine immer schwierigere Aufgabe, der sich schließlich der kalifornische Bankmanager Dee Hock annahm. Sein Denkansatz war revolutionär, denn er fragte, ob und wie „inmitten einer wachsenden Epidemie des institutionellen Versagens“ eine Organisation als lebendiges System verstanden und verwaltet werden kann. Auf der Grundlage der von ihm erforschten Phänomene gelang es schließlich, die VISA-Card als weltweit einheitliche Kreditkarte zu etablieren. Dee Hock schuf für das zugrundeliegende System die neue Bezeichnung „chaordische Organisation“ („Chaord“: Kofferwort aus „Chaos“ und „Ordnung“).

Etwa zur gleichen Zeit fragte sich der deutsche Rechtsanwalt und Notar Wilhelm Ernst Barkhoff, wie eine freie Schule unabhängig vom Staat zu finanzieren sei und wie den Folgen der zunehmenden Spekulation mit Grund und Boden für die ökologische Landwirtschaft beizukommen sei. Mit der Idee einer Leihgemeinschaft, in der zahlreiche kleine Einzelkredite zu einer großen Summe gebündelt werden, bereitete Wilhelm Ernst Barkhoff der 1974 erfolgten Gründung der GLS Bank, der weltweit ersten Social-Bank, den Weg. Die Bank sollte eine Institution werden, in der viele soziale Gemeinschaften, die in einem Netzwerk wie lauter kleine Banken zusammenwirken, ein gemeinsames Dach finden.

Durch Dee Hock und Wilhelm Ernst Barkhoff war die Organisation des Bankwesens vollkommen neu gedacht worden, bevor im 21. Jahrhundert zunehmend mehr Firmen im FinTech-Segment die Welt der Banken und Finanzdienstleistungen zu revolutionieren begannen.

Neue Wege für das Geld

Entwicklung und Wachstum des Internet brachten es mit sich, dass der Bedarf für personalgebundene Bankdienstleistungen schrumpfte, weil die Finanzgeschäfte zunehmend von den Kunden selbst vorgenommen werden können. Dafür entstanden Onlinedienste und Unternehmen, die sich längst am Markt etabliert haben: 1998 PayPal als Bezahldienst zur Begleichung von Klein- und Mittelbeträgen im Onlinehandel. 2003 ArtistShare und 2009 Kickstarter als Crowdfunding-Dienstleister, die viele Kleinbeträge zu großen Investitionssummen bündeln (in Deutschland die Firmen Startnext in 2010 und Seedmatch in 2011). 2005 die Plattform Zopa zur Organisation von Leihgemeinschaften (später Lending Club und Prosper, die sich zu den größten Crowdlending-Marktplätzen der Welt entwickelten). 2008 das Bitcoin-Zahlungssystem, das die bekannteste und größte Kryptowährung als komplementäres Zahlungsmittel gebracht hat. 2009 Paynearme als Dienstleister für bankenunabhängige Barzahlungen auf jedwede Rechnungen und Zidisha als Plattform zur direkten Vergabe von Mikrokrediten an Menschen in Schwellenländern, 2011 Transferwise für den internationalen Zahlungsverkehr.

Solche FinTech-Unternehmen bieten Lösungen sowohl für das Retail- (standardisiertes Privatkundengeschäft), das Private- (individuelles Bankgeschäft für vermögende Kunden) als auch für das Corporate-Banking (Firmenkundengeschäft), das sich nun wieder konsequenter von Mensch zu Mensch (Peer to Peer) vollziehen kann und dabei immer weniger auf Dienstleistungen institutionalisierter Banken angewiesen ist. Natürlich können die neuen Möglichkeiten auch missbraucht werden, wie z.B. die Bitcoins für kriminelle Geschäfte, aber die sich bietenden Chancen für ein ethisches Banking überwiegen. Sie müssen nur ergriffen werden.

Finanzdienstleistungen ohne Banken, ja sogar nichtstaatliche Währungen und Verrechnungssysteme werden zur selbstverständlichen, nahen Zukunft gehören. Selbst Bill Gates meint: „Bankgeschäfte sind notwendig, Banken nicht!“ Er trifft mit dieser Aussage den Nagel auf den Kopf, das haben längst auch andere erkannt, wie der Milliardär und Großinvestor Peter Thiel, der Facebook-Gründer Marc Zuckerberg und das Management von Google und Amazon. FinTech avanciert zu einem großen Thema für eine ganz neue Branche im Sektor der Zahlungs- und Finanzdienstleistungen.

Dee Hock und Wilhelm Ernst Barkhoff waren in den 1960er-Jahren ihrer Zeit noch weit voraus. In ihren Ahnungen erkannten sie bereits ein Geld- und Finanzsystem, das Mitwelt und Mensch wieder in gutem Sinne zu Diensten sein kann. Die gegenwärtigen Entwicklungen lassen jedenfalls genau darauf hoffen.

Über den Autor / die Autorin

Peter Krause

Peter Krause ist freier Journalist und Buchautor mit den Schwerpunkten Wirtschaft und Medizin.