Impfpflicht oder nicht?

Szene von der Pressekonferenz in Berlin mit Dr. med. Georg Soldner (rechts). Foto: Ronald Richter für Info3

In Berlin stellte der Verein für individuelle Impfentscheidung ein Rechtsgutachten gegen den geplanten Impfzwang vor. Obwohl damit empfindliche Eingriffe in Grundrechte verbunden wären, sind die Hoffnungen auf eine Verfassungsklage verhalten.

Ende Februar 2018 schien die Welt noch in Ordnung. Da wurde – veranstaltet von der Patientenvereinigung Gesundheit aktiv – ein großer Impfkongress in der Hauptstadt abgehalten. Das Publikum strömte, die Meinungen prallten aufeinander. Es gab eine Live-Übertragung der Schlussdiskussion via Facebook, in der es hoch herging. Und, nicht zu vergessen, es gab wie in Hollywood ein Happy End! Der neue Leiter der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert Koch-Institut (RKI), der Ulmer Virologe Thomas Mertens, stellte sich damals als „Alt-68er“ vor, der „allergisch reagiere, wenn es um Pflicht oder Zwang“ gehe. Wie sein Vorgänger Jan Leidel ist er weder Befürworter der Impfpflicht noch sei diese, betonte Mertens, Diskussionsthema in der STIKO.

Ende Juni 2019 war die Welt gar nicht mehr so in Ordnung. Da überreichten Vertreter des Vereins Ärzte für individuelle Impfentscheidung e. V. über 143.000 Unterschriften der Petition Deutschland braucht keine Impfpflicht! an das Bundesgesundheitsministerium. Gefordert wurde die Unterlassung sämtlicher Aktivitäten zur Einführung einer Impfpflicht. Im März 2020 soll nun die Impfpflicht als „Masernschutzgesetz“ Realität werden, obwohl bereits 97 Prozent der Kinder in Deutschland gegen Masern geimpft sind, mehr als in Ländern mit Impfpflicht.

Ein umfangreiches Rechtsgutachten zum Entwurf des geplanten Gesetzes zur Einführung einer Masernimpfpflicht kommt nun zu dem Ergebnis: Das Gesetz verstößt gegen Grundrechte und ist deshalb verfassungswidrig.

Auf einem Berliner Event am 12. Oktober – mit Filmvorführung von David Sievekings Film Eingeimpft und reichlich genutzten Expertenecks für junge Familien – wurde in einer Pressekonferenz das Gutachten vorgestellt, das der Verein für individuelle Impfentscheidung in Auftrag gegeben hatte. „Verletzt werden insbesondere das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit der Kinder, das Elternrecht, die Gleichheitsrechte von Kindern und Eltern und die Berufsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten sowie deren Gleichheitsrechte“, erklärte Stephan Rixen, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht, Sozialwirtschafts- und Gesundheitsrecht an der Universität Bayreuth. Rixen hat das Gutachten erarbeitet. Das geplante Gesetz spiele nicht mit offenen Karten, arbeite mit indirekten Zwangsandrohungen und sei ein einziges Misstrauensvotum gegen Eltern und Ärzte. Eine Impfpflicht sei angesichts der schon erreichten hohen Impfquoten gegen Masern unverhältnismäßig und daher verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, betonte der Jurist. Hinzu komme, dass es ein Trojanisches Pferd sei, das den unbegrenzten Einsatz von Kombinationsimpfstoffen zulasse. Geimpft werden müsse – außer gegen Masern – in Deutschland immer auch gegen Mumps und Röteln und gegebenenfalls noch gegen Windpocken, während in der Schweiz ein Monoimpfstoff verwendet werde. In Zukunft könne die Impfpflicht sogar über die Neu-Zusammenstellung der Kombinationsstoffe durch die Pharmaindustrie ausgeweitet werden, was das Gesetz nicht verhindere. „Das ist verfassungswidrig“, schlussfolgert Rixen.

Die Ärzte für individuelle Impfentscheidung sehen sich durch das Gutachten in ihrer ablehnenden Haltung zur Einführung einer Impfpflicht bestätigt. Der Verein wird es deshalb in das anstehende parlamentarische Gesetzgebungsverfahren einbringen, als Grundlage einer Verfassungsklage.

Alexander Kekulé, ehemaliger Berater der Bundesregierung, der Gesundheitsminister Jens Spahn vor einem „Paradigmenwechsel ohne Begründung“ gewarnt hat, mahnte allerdings auf der ins Internet gestreamten Abschlussdiskussion, von einem Rechtsstreit nicht allzu viel zu erwarten. Es sei unwahrscheinlich, dass das Gesetz durchs Bundesverfassungsgericht gekippt werde. Die Richter würden eher Anweisungen geben, wie das Gesetz doch in Kraft treten könne, wenn dieses und jenes beachtet würde.

Stephan Rixen bestätigte, dass jetzt noch die Zeit genutzt werden müsse, um das Gesetzt so nicht in Kraft treten zu lassen. Auch der Leiter der STIKO, Thomas Mertens, saß wieder in der eher gemütlichen Runde und betonte: Die STIKO sei ins Gesetzgebungsverfahren nicht eingebunden. Er ließ aber keinen Zweifel daran, dass sie dort auch dem „Masernschutzgesetz“ zuarbeiten würde.

Im Chat auf YouTube, der neben der Übertragung lief, hieß es irgendwann: „Was ist denn das für eine ‚Diskussion’? Das sind ja alles Impfbefürworter …“

Von den eingeladenen Politikern war übrigens kein einziger erschienen. So dümpelte das große Finale eher lau vor sich hin. Das Berliner Event war – gemessen am Impfkongress vor anderthalb Jahren – zur netten Plauschoffensive geschrumpft.

Hoffen wir, dass dies nicht schon die Vorzeichen nach dem Muster des charmanten Films Eingeimpft sind. Darin wird die höchst impfkritische Mutter schließlich doch zur Befürworterin von Impfungen an ihren Kindern. Was ja nach vielen Erwägungen und den ausführlichen Recherchen des Partners eine vernünftige Entscheidung sein kann. Doch wäre dann im nächsten Schritt auch das „Masernschutzgesetz“, die Impfpflicht, kein echter Aufreger mehr? Fragt sich der Berichterstatter. Auf seine entsprechende Frage an Stephan Rixen verweist der allerdings auf die Vielzahl von Aspekten, die das Gesetz insgesamt verfassungswidrig erscheinen lassen, indem der Gesetzgeber pauschal sagt, Kombinationsstoffe können eingesetzt werden, ohne dies zahlenmäßig zu beschränken und ohne sich ein Mitspracherecht bei Pharmaunternehmen vorzubehalten: Genehmigungspflicht und Anzeigepflicht – alles sei völlig dem Markt überlassen. Wogegen die Interessen von Kindern, Eltern und Ärzten wenig berücksichtigt werden.

Ein Happy End ist also nur möglich, wenn wir uns gezielt dafür einsetzen. ///

Mehr Informationen und Youtube-Film zur Pressekonferenz hier.

Über den Autor / die Autorin

Ronald Richter

Ronald Richter † (18.5.1954 - 18.1.2020) war ständiger Mitarbeiter von Info3, freier Autor und betrieb von Berlin aus das "Kult.Radio" auf www.kultradio.eu